Vom Beschissenen das Beste

In ein paar Stunden bin ich aufgerufen, gemeinsam mit 71 Anderen eine Entscheidung für Offenbach zu fassen, die so oder so alle Menschen betreffen wird, die in dieser Stadt leben. Das tuen wir zwar öfter, aber dieses Mal ist die Tragweite trotzdem eine Größere.

Die Hintergründe: Haushalt / Genehmigung / Kredite…

Es geht darum, dass wir vor einer Wahl stehen, die mit dem alten Sprichwort zwischen Pest und Cholera zu wählen sehr gut umschrieben ist. Dazu erstmal ein paar Hintergründe:

Alle Städte müssen ihr Budget für das nächste Jahr planen und schriftlich vorlegen. Das ist dann der Haushalt, aus dem grundsätzlich für jeden ersichtlich wird, für welche Posten wieviel ausgeben werden soll, welche Projekte geplant sind und welche Einnahmen man erzielen möchte. Allerdings können Städte nicht irgendwas planen, sondern sind an landesrechtliche Regeln und Verträge gebunden. Und die Einhaltung wird auch aktiv kontrolliert. In Hessen vom Regierungspräsidium in Darmstadt. Dort schauen sich Fachleute die beschlossenen Haushaltspläne an und prüfen, ob die allen rechtlichen Vorgaben und Einschränkungen entsprechen. Tut ein Haushalt das nicht, wird er nicht genehmigt. Und wenn ein Haushalt nicht genehmigt ist, dann darf eine Stadt nicht das Geld ausgeben, wie sie es in dem Haushalt eingeplant hat, sondern, sie darf nur für die Dinge Ausgaben tätigen, zu denen sie rechtlich oder vertraglich verpflichtet ist. Also Sozialleistungen, Mieten, Gehälter und alle Aufgaben, die der Stadt von höherer Ebene vorgegeben sind. Für alles andere darf kein Geld ausgegeben werden. „Alles andere“, das sind sogenannte „freiwillige Leistungen“ und das Umfasst ganz viele Dinge im Bereich Bildung, Kultur, Sport und Vereinsförderung, aber auch soziale Projekte. Außerdem kann eine Stadt ohne genehmigten Haushalt keine Kredite aufnehmen, weil auch die vom Regierungspräsidium genehmigt werden müssen und die Genehmigung wird nicht gewährt werden, wenn die Stadt nicht anhand eines genehmigten Haushaltes belegen kann, dass sie Zins und Tilgung leisten kann. Es ist also auch grundsätzlich ein Fall denkbar, in dem man einen genehmigten Haushalt hat, aber keine Kredite, z.B. für große Bauprojekte aufnehmen kann, weil Zins und Tilgung dafür dann zu viel wären für die Stadt und sie das nicht leisten könnte.

…und was das für Offenbach bedeutet

Und in dieser Gemengelage befinden wir uns in Offenbach gerade und abstrakt ist damit beschrieben, welche alternativen Optionen den Stadtverordneten zur Verfügung stehen. Wir können:

  • Einen Haushalt beschließen, der nicht genehmigt wird.
    Damit können wir Planung und Bau für drei Grundschulen und ein Gymnasium und ein Jugendzentrum nicht vorantreiben, solange kein genehmigter Haushalt vorliegt. Außerdem dürfen wir für keine „freiwilligen Leistungen“ zahlen. Das heißt, die sozialen und pädagogischen Netzwerke, die oft auf Projektbasis laufen, die Vereine und Bildungs- und Kulturstätten, aber auch viele Akteure im Bereich der Jugendarbeit, die vielfach von finanziellen Mitteln der Stadt abhängen, würden diese nicht bekommen. Damit würden wir die Netzwerke und Strukturen, die über Jahre mühevoll aufgebaut wurden, fast im Handstreich zerstören.
  • Einen Haushalt beschließen, der zwar genehmigt wird, aber einen minimalen Kreditrahmen ermöglicht.
    Auch damit können wir Planung und Bau für drei Grundschulen und ein Gymnasium und ein Jugendzentrum nicht vorantreiben, solange kein genehmigter Haushalt vorliegt. „Freiwillige Leistungen“ können geleistet werden. Hierfür ist aber eine deutliche Einnahmensteigerung bzw. Ausgabensenkung nötig, die nicht sehr stark von der nun folgenden Option abweicht. Es würden für die nächsten drei Jahre etwa 10 Millionen Euro pro Jahr fehlen, danach 20 Millionen.
  • Einen Haushalt beschließen, der genehmigt wird und den nötigen Kreditrahmen ermöglicht.
    Hier können wir Schulen und Jugendzentrum bauen und die „freiwilligen Leistungen“ bezahlen.
    Nur müssen dafür ab 2019 20 Millionen Euro mehr eingenommen oder weniger ausgegeben werden.

Auf den ersten Blick ist klar, was die richtige Alternative ist…

Ich muss sagen, als jemand, der für diese Stadt Verantwortung trägt, für die Menschen, die jetzt hier leben und in Zukunft hier leben wollen oder müssen, wäre die Auswahl der „richtigen“ Alternative erstmal ziemlich einfach: Wir können nicht die Stadt lahmlegen, die Netzwerke zerstören, die das ganze zusammenhalten und den Kindern Halt, Beschäftigung und Bildung zugänglich machen, die die Auffangen, die Probleme haben und die Fördern, die etwas erreichen wollen, wir können nicht hingehen und Kindern, die heute schon hier leben und in einigen Jahren in Schulen gehen wollen, keine Räume zur Verfügung stellen. Und das heißt für mich: Wir müssen einen genehmigungsfähigen Haushalt vorlegen, der auch einen notwendigen Kreditrahmen ermöglicht. Das ist erstmal die eindeutig beste Option, wenn man nicht dafür sorgen müsste, dass das Geld irgendwoher kommt, bzw. für irgendwas nicht ausgegeben wird.

…doch die bedeutet Belastung für Alle

Und da kommt der Punkt, der in den letzten Wochen zu vielen Kontroversen, Konflikten und heißen Debatten geführt hat. Die zentrale Maßnahme, um die nötigen Einnahmen zu erzielen ist eine massive Grundsteuererhöhung!
Um das vorweg zu schicken: Ich finde die Maßnahme nicht gut. Als ich das erste Mal davon gehört habe, dass die Stadt Offenbach die Einnahmen massiv steigern muss (das war zwei Tage, eh wir im November den Haushalt für 2019 beschließen wollten. Damals glaubte ich noch, es sei alles in Ordnung und die Budgetplanung würde laufen wie üblich), habe ich gleich gesagt, dass das aber nicht allein zulasten der Menschen gehen darf, die hier leben. Und das war seitdem meine Maxime: Wir müssen sehen, ob wir auf der Ausgabenseite noch was tun können und wir müssen sehen, ob wir noch andere relevante Einnahmen generieren können. Und ich hätte dieser Grundsteuererhöhung, wie sie jetzt auf dem Tisch liegt, nicht zugestimmt, wenn ich mir nicht absolut sicher wäre, dass alle Möglichkeiten, die die Last für die Offenbacher*innen relevant mindern, auf Herz und Nieren geprüft worden sind.

Wir haben Alternativen gesucht

Weil ich aber weiß, dass nochmal jeder Stein umgedreht wurde, dass nochmal alle Projekt durchgesprochen und die neuen Stellen erneut geprüft wurden, weil ich weiß, dass wir gespart und geschoben haben, wo es ging, weil ich auch weiß, dass wir keine anderen Schrauben haben, die wir drehen können, um einen größeren Beitrag auf der Einnahmenseite zu erzielen, weil ich weiß, dass mit der Landesseite und mit dem Regierungspräsidium viele Gespräche geführt wurden, viel verhandelt wurde und das Paket, was jetzt zur Debatte steht und das einen Anstieg der Grundsteuer auf 995 mit sich bringt, weil ich all das weiß, ist dieser Schritt für mich tragbar, weil die Alternativen eine noch größere Hypothek für das gesellschaftliche und soziale Gefüge unserer Stadt gewesen wäre. Weil wir die Zukunft unserer Stadt und unserer Jugend damit in ernsthafte Gefahr gebracht hätten.
Ich weiß auch, dass die Grundsteuererhöhung viele hart trifft. Viele von denen, die sich auf Grund der steigenden Mieten eh schon Sorgen um ihre Zukunft in dieser Stadt machen. Wenn wir denen dann neben den vielleicht normalen Mietsteigerungen nochmal 10, 20 oder 30 Euro im Monat zusätzlich aufbürden, dann tut das weh und kann im Einzelfall zu echten Problemen führen. Genauso bei den Menschen, die zwar im Eigenheim leben, sich die Grundsteuer dann aber vielleicht von einer kleinen Rente abknapsen müssen. Ich weiß, dass das für viele eine Bürde ist und wenn ich durch die Stadt laufe und mir die Leute angucke, dann fällt es mir schwer zu wissen, dass ich all diesen Menschen jeden Monat zusätzliche Kosten zu verursachen.
Wenn ich aber abwäge, welche Entscheidung der Stadt und den Menschen hier am wenigsten Schaden zufügt, heute und in Zukunft, dann bleibt es für mich die besten Alternative, die Grundsteuer zu erhöhen und so auch die Zukunftsinvestitionen tätigen zu können, die unabweislich sind.

Was mich persönlich trifft und was ich tatsächlich zurückweisen will, das sind Aussagen, wir würden es uns zu einfach machen, wir würden einfache Lösungen wählen und hätten garnicht richtig geprüft. Das trifft mich, weil es meinem Anspruch komplett entgegenläuft. Ich will die bestmöglichen Entscheidungen für Offenbach treffen auf Basis einer fundierten Abwägung, wo ich am Ende sagen kann: „Das ist das Beste, was wir rausholen können“. Und das kann ich hier sagen.

Die Debatten am Rande

Auch wenn meiner Meinung nach, mit den Punkten oben alles besprochen ist, was unmittelbar relevant ist, ist natürlich außerdem noch sehr viel passiert und vor allem gesprochen worden. Das ist nunmal so im politischen Feld. Das hat wie gesagt für die Entscheidung an sich keine große Bedeutung, aber es wirkt sich aus, auf die Bewertung von Personen, von politischen Parteien, auf den Zusammenhalt in unserer Stadt und auch auf meine politische Arbeit. Deshalb hab ich die wichtigsten dieser Randthemen auch nochmal aufgeschrieben.

  • Ich finde es gut, dass OB Felix Schwenke das Vorgehen der Stadt so mitträgt und dahinter steht. Ich finde es gut, dass er seine Verantwortung annimmt und die Verhandlungen mit dem Regierungspräsidium aktiv begleitet und die Lösung, die gefunden wurde gemeinsam mit den anderen hauptamtlichen Magistratsmitgliedern vorgestellt hat. Es ist für ihn sicher nicht leicht, gegen seine eigene Partei zu agieren und auch zurückzustellen, dass er in der Vergangenheit einiges anders gemacht hätte, z.B. gegen den Kommunalen Finanzausgleich des Landes Hessen geklagt hätte. Als echter Oberbürgermeister macht er so deutlich, dass es für diejenigen, die die Verantwortung tragen in der aktuellen Situation der beste Weg ist.
  • Ich verstehe, wie die SPD und die LINKEN agieren. Man kann sich als Opposition natürlich nicht hinstellen und sagen: „Ihr habt Recht, das ist die beste Alternative!“ Der Job der Opposition ist es, Alternativen aufzuzeigen und das haben die beiden Parteien versucht. Die Welle, die die SPD zu machen versucht kann ich dabei nicht ganz ernst nehmen: Sie sagen, sie hätten Sparpotentiale gefunden, mit denen die Grundsteuer nicht auf 995 sondern „nur“ auf 895 Prozentpunkte erhöht werden müsste. Neben der Tatsache, dass viele der Deckungsvorschläge ins Leere laufen, was die Kollegen auch wissen müssten, bzw. einfach Quatsch sind, oder nicht mit konkreten Inhalten (z.B. welche Stellen einzusparen sind) unterfüttert sind, finde ich es dann sehr interessant, wie sie weiter damit umgehen: Man könnte das sparen, aber man findet die Grundsteuererhöhung trotzdem blöd, bringt deshalb keine Anträge zu den Sparmaßnahmen ein und lehnt den Haushalt ab. Das finde ich nicht verantwortungsvoll. Wenn man den Menschen was ersparen will, dann soll man anhand konkreter Anträge zeigen, wie das geht. Macht man das nicht, dann vielleicht, weil man nur ein bisschen Theaterdonner inszenieren wollte und man selbst nicht weiß, wo man noch realistisch was relevantes sparen könnte.
    Die LINKE hat es ein bisschen leichter. Sie hat gegen Schutzschirm, gegen Hessenkasse und damit gegen die Entschuldung der Stadt auf Basis von zu erbringenden Gegenleistungen durch das Land gestimmt und kann sich daher auf den einfachen, aber nicht lösungsorientierten Standpunkt stellen, das ganze System sei falsch und das Geld solle jetzt nunmal von anderen gezahlt werden. Die LINKEN wissen aber so gut wie wir, dass es, selbst wenn das passieren würde, erstmal Monate, wenn nicht Jahre dauern würde. Bis dahin ohne Haushalt darauf zu warten, ist eine schlechte Option.
  • Aber das führt mich zu einem weiteren Punkt: Natürlich sollen diejenigen, die der Stadt Offenbach und allen anderen Städten Aufgaben übertragen, auch für die Kosten der Aufgaben aufkommen. Würde das passieren, dann bräuchten wir keine Grundsteuererhöhung und könnten die Stadt sogar aktiver gestalten.
    Nur: Davon, dass etwas ungerecht ist und davon, dass es sich ändern muss, haben wir erstmal nichts. Ja! Wir kämpfen dafür, dass sich da was tut und Ja! wir haben das auch schon in der Vergangenheit getan. Dass das nicht schnell Früchte trägt, hat vielleicht damit zu tun, dass man damit ein riesiges Fass aufmacht. Weil klar ist: Weder in Berlin, noch in Wiesbaden setzt sich jemand hin und sagt: „Stimmt, Offenbach ist strukturell unterfinanziert. Für diese eine Stadt tun wir jetzt was!“. Sondern es müssen Regeln gefunden werden, die für alle gelten und für alle gerecht sind und die am Ende auch finanziert werden können. Sowas ist auf allen Ebenen ein riesen-Kraftakt und deshalb kann man durch beständiges Arbeiten vielleicht in Jahren was erreichen, man kann aber nicht den Haushalt 2019 auf der Basis planen, dass es irgendwer schon bezahlt.
  • Und natürlich: Es kann nicht sein, dass wir davon ausgehen, dass die Leute sich schon irgendwann wieder abregen und wir nicht versuchen, die Belastung der Menschen zurückzuführen. Wir müssen jedes Jahr und jedes Projekt aufs Neue prüfen, ob es gebraucht wird, oder ob wir damit einen kleinen Beitrag zu Gunsten aller leisten können. Das heißt, wenn es irgendwie möglich ist, muss diese Grundsteuer wieder sinken in den nächsten Jahren. Dafür müssen wir in unserer Stadt (z.B. bei der Gewerbeansiedlung), in Land und Bund kämpfen und dafür müssen wir uns auch bei unseren Wünschen und Ideen zurückhalten.
  • Was mich ein bisschen erschreckt hat: Ich war am Montag bei der Demo am Stadthof und habe mir so angeschaut, wer so da war. Ich habe meinen ehemaligen Vermieter gesehen, ich habe viele Gesichter aus der aktiven Stadtgesellschaft gesehen und viel weißen Mittelstand; Wen ich aber nicht gesehen habe, dass waren die, von denen wir denken, dass sie von der Grundsteuererhöhung am Härtesten getroffen werden. Das soll keine Kritik sein und richtet sich an niemanden. Aber mich besorgt es, wenn das politische Offenbach nicht in der Lage ist, fast 2/3 der Offenbacher Gesellschaft zu einem Thema zu aktivieren, das sie direkt und zum Teil hart trifft. Ich glaube die Kommunikation in der Stadtgesellschaft über die üblichen Kreise hinaus, läuft ganz schlecht und ich glaube, dass ist nicht nur in Offenbach so. Ich glaube wir müssen mehr an dem Gemeinsamen arbeiten, das wir in Offenbach, Hessen und Deutschland haben und nicht die Unterschiede herausstellen, weil sonst stirbt die Demokratie einen leisen Tod. Dass Menschenfeinde von Rechts und religiöse Extremisten es oft so einfach haben, Menschen zu ködern, hat sicher auch damit zu tun, dass wir, die Politik, die wache Zivilgesellschaft viele Menschen nicht mehr erreichen, dass wir nicht mehr ins Gespräch kommen und dass viele nichts mehr von uns wissen wollen.
  • Was übrigens ein ganz schlechtes Mittel ist, Leute für das politische Feld und das Gemeinwesen zu gewinnen, ist politischer Kindergarten. In den letzten Monaten habe ich mich öfter mal für Verlautbarungen aus den verschiedensten Parteien geschämt. Wenn man ein großes Problem hat, das unmittelbar zu lösen ist, dann hilft es nichts, erstmal einen Schuldigen zu finden – natürlich immer von einer anderen Partei – und dem möglichst viel Anteil an der Misere anzuhängen. Es hilft auch nichts sich gegenseitig vorzuhalten, wer wann welchen Fehler gemacht hat und deshalb ganz ruhig sein sollte.
    Wenn man ein großes Problem hat, dann ist es erstmal der Job sich dranzusetzen und dieses Problem zu lösen.
    Und wenn man mit dem Problem umgegangen ist, dann kann man anfangen aus der Vergangenheit zu lernen. Es wurden Fehler gemacht, ganz klar. Das Klinikum ist nicht von allein pleite gegangen. Manche Annahmen beim Schutzschirmvertrag wurden wider besseres Wissen getroffen. Dass ich und alle anderen Stadtverordneten erst zwei Tage bevor der Haushalt beschlossen werden sollte, über die riesige Finanzlücke informiert wurden, ist sicher kein Ruhmesblatt. Mit Monaten Vorlauf hätten wir damit kommunikativ anders umgehen können, wir hätten aber auch viel mehr Zeit für Gespräche, Verhandlungen, Abstimmungen und Ideen gehabt.
    Ich habe sicher auch schonmal Fehler gemacht, auch wenn ich noch nicht lange dabei bin. Das ist einfach so: Menschen machen Fehler. Das finde ich nicht verwerflich, sondern menschlich. Verwerflich wird es, wenn man aus den Fehlern der Vergangenheit nichts für die Zukunft lernt. Ich habe für mich viele Lehren gezogen und werde bei einigen Themen in Zukunft genauer nachfragen und hartnäckiger bleiben. Und ich werde auch jeden, der Fehler sieht und unverzeihlich findet darum bitten, dass er sich dann selbst im Prozess einbringt. Kritik, die nicht die Verbesserung der Welt zum Ziel hat, sondern in der Kritik verharrt, ist nicht konstruktiv. Konstruktiv wird es dann, wenn sich jemand einbringt und es dann wirklich besser macht.

Ich erwarte keinen Lob! Schön wäre es, wenn klar wäre: Wir handeln nicht leichtfertig!

So, dass ist ein langer Text geworden und ich fürchte, dass wird dazu führen, dass viele nicht bei diesen Zeilen ankommen. Das finde ich sehr schade, weil es ist eben eine lange Geschichte, die dazu führt, dass ich jetzt gleich ins Rathaus gehen und dafür stimmen werde, die Grundsteuer auf 995 Prozentpunkte anzuheben.
So eine lange Geschichte zu lesen, ist natürlich ein bisschen anstrengender, als einfach zu rufen: „Keine Grundsteuererhöhung“, aber wer verstehen will, warum das passiert, der sollte sich im klaren sein, dass kurze Antworten nie eine lange Geschichte erzählen können und dass es in der echten Welt ziemlich selten so ist, dass sich ein Sachverhalt „ganz einfach“ erklären lässt.

Ich verstehe jeden, der wütend ist und der sich ohnmächtig fühlt. Ich verstehe und finde gut, dass die Leute ihren Unmut ausdrücken und auf die Straße gehen. Ich würde mich aber freuen, wenn zu der Wut und dem Unmut auch die Erkenntnis käme, dass wir uns sehr viele Gedanken darum gemacht haben, was wir hier machen, dass wir nach Wegen gesucht haben, das abzuwenden und dass wir am Ende Trotzdem in der Abwägung zum Ergebnis gekommen sind, dass diese Grundsteuererhöhung von den beschissenen Alternativen die Beste ist.

Wenn jemand bis hierher gekommen ist, kann er oder sie gerne in den Kommentaren auch die eigenen Meinung äußern.

10 Antworten auf „Vom Beschissenen das Beste

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  1. Das ist grandios geschrieben. Ehrlich, verständlich, differenziert. Und der Hinweis auf die „üblichen Kreise“ so richtig. Man hat manchmal das Gefühl, mindestens zwei Drittel der Stadtbevölkerung hat mit deren Geschicken nichts zu tun. Weil es sie nicht interessiert, weil es zu komplex ist, weil sie es nicht gewohnt sind, weil sie noch ganz andere Sorgen haben.

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    1. Ursachen gibt es in der Tat viele und meistens dürfte ne Kombination wirken.
      Nur dürfen wir das nicht einfach hinnehmen, weil sonst die Basis unseres eigentlich guten Systems verloren geht.
      Es ist nicht nur Job der Politik Mehrheiten zu erzeugen und Entscheidungen zu treffen, es ist auch Job, zu kommunizieren, zu überzeugen, zu aktivieren. Wenn wir das sein lassen, dann kann es passieren, dass irgendwann die stille Mehrheit auch unsere Mehrheiten und Entscheidungen nicht mehr akzeptiert.

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  2. Danke für diesen ausführlichen und differenzierten Einblick. Politik ist vermutlich gerade dann herausfordernd, wenn es um sehr pragmatische Themen geht und nicht um Ideologie. Ideologie kann irgendwie jeder, aber um sich mit Sachthemen auseinandersetzen zu können, braucht man eben Sachkenntnis und ein Wissen um politische Verfahren wie auch rechtliche und organisatorische Zwänge. Und dann eine Entscheidung zu treffen, das bedeutet Verantwortung zu übernehmen. Nochmals: danke.

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    1. Freut mich, wenn es gefallen hat. Danke!
      Ich will trotzdem kurz widersprechen: Pragmatik ohne Haltung (Ideologie meint das Gleiche, hat aber zurecht einen fragwürdigen Klang) ist gefährlich. Man braucht diese Haltung als Kompass und Ziel, dann bekommt auch ein pragmatischer Ansatz die richtige Richtung.

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  3. Ich verbeuge mich vor dem Verfasser dieser Zeilen, denn sie sprechen mir von Anfang bis Ende aus der Seele.
    Das ist das Eine.
    Das Andere ist ihre Art und Weise in verständlichen Worten zu erklären, weshalb sie ihre Entscheidung pro Grundsteuererhöhung getroffen haben. Ich habe selten eine so reflektierte und ehrliche Stellungnahme gelesen.

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  4. Warum sollten die Leute, die es am härtesten trifft, auf die Straße gehen.
    Die Grundsteuererhöhung müssen sie trotzdem bezahlen und auf eure Mitleid kann man auch Verzichten.

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  5. Es ärgert mich ungemein, dass ein Kommunalpolitiker hier meint, sich nach Inaugenscheinnahme einer Menschenmenge auf einer Veranstaltung, die nach Sonnenuntergang endete, schlussfolgern zu können, dass der „weiße Mittelstand“ Offenbachs den Großteil der Teilnehmer ausmachte. Auch wenn es wahrscheinlich stimmt.

    Es ärgert mich noch mehr, dass er sich anmaßt, diese Einteilung meint nach reiner Inaugenscheinnahme vornehmen zu dürfen. „Wen ich aber nicht gesehen habe, dass waren die, von denen wir denken, dass sie von der Grundsteuererhöhung am Härtesten getroffen werden.“ Woher will er denn wissen, ob ich – trotz Kartoffellooks – von dieser Erhöhung stark oder schwach betroffen bin?

    Es ärgert mich aber am meisten, dass ihn das scheinbar überrascht. Der sozialwissenschaftliche Korpus, der erklärt, warum bestimmte Bevöllkerungsgruppen politisch aktiver sind als andere ist ersten nicht neu und zweitens nicht geheim.

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    1. Stimmt schon. Etwas holzschnittartig und einfach analysiert von mir.
      Ich würde aber gern dazu festhalten, dass ich nicht die Leute kritisieren will, die nicht auf der Straße waren um zu demonstrieren, sondern mich und alle Mitkommunalpolitiker, die einen Großteil der Offenbacher*innen nicht erreichen. Nicht für Protest und nicht für irgendwelche anderen Formen der Beteiligung z.B. auch nicht zur Stimmabgabe bei Wahlen, damit vielleicht eigene Interessen besser repräsentiert werden.

      Im Übrigen kann ich mir vorstellen, dass auch studierende hart getroffen werden. Aber auch die wurden nicht erreicht.

      Und neben der weißen Mittelschicht existieren durchaus auch andere nicht-weiße Mittelschichten, die aber auch durch Inaugenscheinnahme nicht zu sehen war.

      Aber zum Schluss: Die zentrale Kritik trifft! Natürlich kann ich durch angucken und „belauschen“ weder erkennen, ob jemand zur weißen Mittelschicht gehört, noch, ob er oder sie von der Steuererhöhung hart getroffen wird.

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  6. Ich weiß mir mittlerweile auch keinen Rat mehr. Ich glaube die Stadt hat in jeder Hinsicht über ihr Maß gelebt, sonst wäre dies nicht so. Wir konnten uns die neuen Bürger die jetzt alle kommen oder schon da sind einfach nicht leisten. Hab mir vor 3 Jahren schon D. Mangelmann erzählt, konnte es erst nicht verstehen.

    Horst war sich ja sicher, nur mit Neubürgern kann OF wachsen. Nur, es wird alle was kosten in einer Stadt die eh kaum noch was den Bürgern zurückgibt.
    Es entsteht ein eigenartiges Klima, man fragt sich warum ein Kaufhaus neu gebaut wird und im Komm sind Geschäfte pleite…
    Ich denke Immobilien-Investitionen haben OF künstlich am Leben gehalten.

    Es war halt noch nie toll In einer Pleitestadt zu leben und drüben in FFM sind Sponsoren die mal eben Millionen aus eigener Tasche für den Ausbau der Neuen Oper hinlegen, wie krass. Warum um Himmelswillen machen wir uns nicht mit FFM zu einer Stadt?

    Ich hätte mir aber gern mal den offiziellen Ausruf gewünscht: wir sind erstmal pleite und können nicht mehr.

    Dann hätte sich das Land bewegen müssen. Das wären dann mal eine Kapf-Schlagzeile gewesen die auch die Gegnern kleinlauter werden lassen…

    Man kann eine Stadt nicht einfach untergehen lassen.

    Es ist auch 30 Jahre SPD-Politik die sich da widerspiegelt.

    Kaum noch Industrie, immer am Tropf vom Flughafen und als Back-Office von FFM hat dann die digitale Zeit alles weggeblasen an Hoffnung, ist alles blöd gelaufen.

    Hoffe das nicht hochdient letzten Steuerzahler weglaufen ins Umland wo es sogar Hallenbäder gibt… und es danach alles zusammenbricht.

    In meinem alten Heimatdorf ist ein Industrieviertel was gefühlt größer ist als in OF und das Dorf hat 12.000 Einwohner.

    Irgendwas stimmt da nicht.

    Nun, aber ich schätze euren Einsatz und finde es gut, das man merkt wie schwer es war.

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  7. Hallo Tobias, du hast das Dilema sehr gut beschreiben in den ein Stadtverordneter steckt in unseren Offenbach. Ich finde es gut das Du das aufgeschrieben hast und einer breiten Öffentlichkeit zur Verfügung stellst. Da kann nachgedacht und nachvollzogen werden wie so einer Entscheidung zu Stande kommt.

    Grüße

    Jürgen Schmittel

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